WS 2001/02
Proseminar
LV 0131L006
Di 12-14
Raum MA 309


Italienbilder in der europäischen Reiseliteratur


Mignon präsentiert uns in Goethes Wilhelm Meister das topisch gewordene "Land, wo die Zitronen blühen": - Italien. Die Tradition der Italienreisen reicht bis weit ins Mittelalter zurück. Dort waren es noch die Pilger zu den Heiligen Stätten nach Rom, Jahrhunderte später sind es junge Adlige auf Kavalierstour, bildungshungrige Gelehrte und schließlich auch Künstler und Dichter, die Italien als das Land der Sehnsucht für sich entdecken. Diese Entdeckungsreisen können vielerlei offenlegen: Italien wird nicht nur das klassische Reiseland; die Fahrt kann auch zu einer Reise ins Ich, der Reiseeindruck zur Selbsterfahrung werden. Zwischen Wahrnehmung und Erfindung, Sehen, Berichten und Erzählen, spannt sich das Bild von Italien, das in der literarischen Verarbeitung ablesbar wird. Dieser Umgang mit Italien und seine facettenreiche literarische Umsetzung sollen im Mittelpunkt des Seminars stehen. Von der "Wunderkammer Italien" wird die Rede sein, dem Hort der Kunst, von Landschaften, Menschen, vom römischen Karneval oder dem neapolitanischen Blutwunder des heiligen Januarius. Und zugleich regiert immer wieder die Idee vom "Goldenen Zeitalter", das man in Italien wiederzufinden glaubt. Die Allgegenwart der Antike durch ihre Ruinen und ihre in den Quellen verbürgte Geschichte bildet einen festen Bestandteil in der Reiseliteratur. Italien wird zur Projektionsfläche all dieser Ansprüche, Sehnsüchte und Wunschbilder.
Das Seminar möchte einen Einblick in die Vielfalt dieser von der Forschung erst in den letzten Jahren wiederentdeckten Literaturgattung geben. Aus der ausschnitthaften Lektüre der großen Reisewerke sollen sich im Verlauf des Semesters unterschiedlichste Italienbilder der europäischen Reiseliteratur vergleichend erschließen. Der Schwerpunkt wird bei Texten vom Ende des 18. und frühen 19. Jahrhundert liegen, kann aber auch bei Interesse bis ins 20. Jahrhundert erweitert werden.
Ein Besuch der im Dezember wieder öffnenden Alten Nationalgalerie wird seminarbegleitend angeboten. Bedingung für den Scheinerwerb ist die Übernahme eines Referates sowie die regelmäßige Anwesenheit. Eine grundsätzliche Bereitschaft zur Lektüre englisch- und französischsprachiger Texte wird vorausgesetzt.

Die zum Teil schwer zugänglichen Quellentexte werden am Anfang des Semesters in der Germanistik-Bibliothek als Kopiervorlagen zusammengestellt. Zur Orientierung seien hier einige der möglichen Autoren und Texte genannt:



Joseph Addison: Remarks on several parts of Italy

Joh. Caspar Goethe: Reise durch Italien im Jahre 1740

Charles de Brosses: Lettres familières.

William Beckford: Dreams, Waking Thoughts and Incidents.

Joh. Wolfgang Goethe: Italienische Reise.

K. Philipp Moritz: Reise eines Deutschen in Italien.

Joh. Gottfried Herder: Italienische Reise.

Heinrich Heine: Reisebilder aus Italien.

Madame de Staël: Corinne ou l'Italie.

Joh. Gottfried Seume: Spaziergang nach Syrakus.

Stendhal: Rome, Naples et Florence.

Charles Dickens: Pictures from Italy.

Wilh. Waiblinger: Das Märchen von der Blauen Grotte.

Ferd. Gregorovius: Wanderjahre in Italien.

Rolf Dieter Brinkmann: Rom/Blicke.