Allgemeine und einführende Literatur zum Thema Lyrikanalyse für Literaturwissenschaftler:

Definitionsversuche: Was ist ein Gedicht? [nach Brandmeyer (Uni Duisburg)]
Eine Annäherung und Abgrenzung

Ein Gedicht ist ein Verstext. Diese Definition erfaßt am Gegenstand ein notwendiges Merkmal, d. h. ein Merkmal, das allen Gedichten zukommt und das es gestattet, Gedichte von Prosatexten abzugrenzen.

Graphische Präsentation
Für die graphische Realisierung der Zeilenbrechung gibt es also verschiedene Möglichkeiten, aber der Unterschied zur Prosaschreibung bleibt dabei immer erkennbar. Die Prosazeilen werden am Textrand zwar auch gebrochen, aber ihre Länge ist willkürlich und ohne Bedeutung für den Charakter des Textes als Prosatext. Daran kann auch die Etymologie erinnern. Unser Ausdruck "Prosa" kommt aus dem Lateinischen. "Prorsa oratio" bedeutet dort "die geradeaus gehende Rede". Deren graphische Präsentation muß nur die notwendige Sukzession der sprachlichen Zeichen respektieren, aber für die Länge der Zeile folgen aus dieser Redeform keine Vorschriften. Die Zeilenlänge ergibt sich aus technischen und buchästhetischen Erwägungen, und gewöhnlich zeigt der Blocksatz (mit Silbentrennung) den Willkürcharakter der Druckfassung an. Wer also einen Prosatext zum zweiten Mal und in einer anderen Ausgabe liest, kann von der ggf. veränderten Zeilenlänge absehen. In Verstexten hingegen hat der Zeilenbruch - i. d. R. realisiert und sichtbar als Abbruch der Zeile vor dem rechten Textrand - den Charakter eines Signals, dessen Bedeutung als Pause den Unterschied zur "geradeaus gehenden" Rede ausmacht. Die Versschreibweise hat "in diesem Sinn also den Charakter einer Partitur" (Lamping 2000, S. 29). Darum auch wird in der hier gewählten Explikation vom "Verstext" ausgegangen und nicht von der "Versrede", da die Markierung der Versgrenze durch eine Redepause nicht immer hörbar ist. Die graphische Präsentation von literarischen Texten enthält Signale, die zur Identifizierung ihres Gattungscharakters beitragen und also entsprechende Leseeinstellungen, wie z. B. das Einhalten von Pausen, auslösen können.

Gliederung von Sprache
Die auf die beschriebene Weise graphisch markierten Zeilen gelten als "Verse". Dabei ist mit diesem Begriff gewöhnlich auch die sprachliche Füllung der Zeile gemeint. Wenn allein die nicht-semantischen Strukturen des Verses gemeint sind - also jene Gliederung durch Pausen und eine ggf. vorliegende metrische Ordnung - dann soll diese Perspektive auf die pure Ordnung des Verses auch terminologisch gekennzeichnet werden (durch Rede von "Versstruktur"). Was ergibt sich nun für die Definition von "Verstext" im Unterschied zu "Prosatext", wenn man die sprachliche Füllung der graphisch markierten Verszeile mitbedenkt? Da die gesuchte Definition, wenn sie formal bleiben will, nicht an die Bedeutung - weder der Vers- noch der Prosazeile - anknüpfen kann, bleibt als Differenz nur jene ihrer graphischen Erscheinungsform nach schon erläuterte Setzung von Pausen, die Vortrag bzw. stumme Lektüre segmentieren. Diese Bildung von Einheiten ("Versen") ist ihrem Vermögen nach etwas anderes als die Fähigkeit des Satzes, nach syntaktischen Regeln Einheiten zu bilden und diese ggf. auch durch Satzzeichen zu markieren, die als Pausensignale gelten.Im lateinischen Ausdruck "versus" ist das Ergebnis der Explikation von "Verstext" schon enthalten. "Vertere" bedeutet "wenden", und "versus" bezeichnet "Wendung, Umkehr" - und zwar ursprünglich des Pfluges. Die Herkunft der späteren Bedeutung von "versus = Zeile, Vers" hält also noch fest, was in der Tat der einzige formale Unterschied zur "geradeaus gehenden" Rede bzw. ihrer schriftlichen Form ist: Versrede bzw. Verstext werden durch Pausen unterbrochen und kehren zum Versanfang zurück. Der Unterschied zur Prosa ist also im strengen Sinne noch nicht einmal ein sprachlicher, sondern ein parasprachlicher, denn Pausen sind nicht Worte. Ist das Differenzkriterium für das Gedicht, insofern es Verstext ist, also ein rein paralinguistisches? Gibt es nicht wenigstens ein Merkmal, das die interne Beschaffenheit der durch Pausen gebildeten sprachlichen Einheiten von solchen Einheiten unterscheidet, deren Bildung syntaktischen Regeln folgt?
Die Auskunft, wonach Verse metrisch organisierte Texteinheiten sind, wäre eine befriedigende Antwort, denn dann hätte man ein Merkmal, das tatsächlich nur Versen zukommt, während die Pausenbildung - wenngleich nach anderen Regeln - auch in der Prosa üblich ist. Aber die Auskunft ist falsch. Verse, um ihren Begriff zu erfüllen, müssen nicht metrisch organisiert sein. Ein Blick in eine Anthologie von Gedichten würde zeigen, daß es Verse ohne metrische Organisation in der deutschen Gedichtliteratur seit etwa 1750 gibt.




Mögliche Schritte einer Lyrikanalyse

Vier Kriterien zur Bestimmung des Versmaßes:

  1. Anzahl der Hebungen
  2. Verteilung der Senkungen
  3. Gestaltung der Versgrenzen (männliches oder weibliches Versende)
  4. (bei längeren Versen, ab 4 Hebungen) Möglichkeit einer festen Zäsur

Übersetzungsproblem:

Die Antike kennt eine quantitierende Lyrik mit Kürzen und Längen. In den germanischen Sprachfamilie läßt sich dies nicht übertragen.
> Stattdessen gilt die deutsche Metrik als akzentuierend. >> Die natürlichen Betonungen (z.B. Betonung des Wortstammes [Lexem] - einsilbige Wörter sind hebungs- und senkungsneutral) können oft durch die Gegebenheiten des Metrums aufgegeben oder gebrochen werden. Metrum und Rhythmus liegen dann im Widerstreit.

Grundformen der Metrik:

Aus diesen Einzelformen / metrischen Einheiten setzt sich der Vers zusammen und bildet so unterschiedliche Versformen aus, die nach der Anzahl der Hebungen (Betonungen) bestimmt werden.


Reimtypen

Die wichtigsten Versformen (Taktreihen) [Auswahl]: