Wie schreibe ich ein Exzerpt?

Ein Beispiel

Rhys W. Williams: Deutsche Literatur in der Entscheidung. Alfred Andersch und die Anfänge der Gruppe 47.

Williams zeichnet in seinem Aufsatz einen Teil deutscher Nachkriegsgeschichte aus der Sicht eines der Gründungsmitglieder der Gruppe 47 nach, Alfred Andersch. Williams ist vor allem daran gelegen, die Bedeutung von Anderschs Ansprache anläßlich der zweiten Gruppentagung in Ulm herauszustellen. Er betont, dass sich trotz der vorherrschenden und durch Richter kolportieren Theoriefeindlichkeit in dem Essay von Andersch ein wertender und ordnender Gehalt positioniere, der die Gruppe 47 in ihrer literarische Situation hinsichtlich des Kontextes und der Geschichte verorte.
Williams unterstellt Andersch, dieser habe mit seinem Essay - freilich ohne dies bewußt forciert zu haben - eine grundlegende Konzeption zur Neuorientierung der Literatur nach 45 vorgelegt.
Um diese These zu stützen und Anderschs dort vertretende Urteile nachvollziehbar zu machen, erscheint es Williams nötig, Anderschs politisch-literarische Karriere über das Elternhaus bis in die politischen Aktivitäten während des Hitler-Regimes biographisch aufzudecken. Williams verweist auch auf die literarischen Tätigkeiten vor und während des Nationalsozialismus und spricht Andersch die Rolle eines Schriftstellers der "inneren Emigration" zu (S. 25). Besonders betont Williams die Rolle der amerikanischen Umerziehungskurse auf die Meinungsbildung des jungen Literaten. So konstatiert Williams, Andersch habe in seinem Essay Getty oder die Umerziehung in der Retorte (1947), in dem er die Ereignisse dieser Zeit literarisch verarbeitet, sowohl einen idealistischen Amerikanismus als auch die Desillusionierung durch die Wirklichkeit des amerikanischen Besatzungsregimes herausgestellt.
Williams macht durch das Nachzeichnen dieser biographischen Entwicklungslinien deutlich, welche Rolle Andersch als Herausgeber des Ruf innehatte und dass es durch seine kritische Einstellung gegenüber den Alliierten und ihrer Besatzungspolitik zu Konflikten kommen mußte. Williams stellt dar, dass Andersch seine publizistischen Tätigkeiten auch nach dem Ausscheiden aus der Ruf-Redaktion noch weiterführte und nennt einige Zeitschriften, bei denen Andersch im folgenden mitwirkte.
Williams zufolge nimmt Andersch im politischen Diskurs der Zeit nach dem Krieg eine Position zwischen allen Stühlen ein. Williams legt dies an dem von Andersch immer wieder verwendeten Begriff der "heimatlosen Linken" (S. 29) plausibel dar. Nicht zuletzt mit diesem Argument positioniert Williams Andersch als politischen und journalistischen Außenseiter.
Im Folgenden kommt Williams auf den titelgebenden Essay Deutsche Literatur in der Entscheidung zu sprechen. Er nennt drei Gründe für die Bedeutung und Wirkungsgeschichte dieses Textes: 1. die mutige Stellungnahme eines bis dato noch kaum im literarischen Betrieb etablierten Autors, 2. die Übersetzung von Anderschs publizistischer Kritik in die literarische Ebene und 3. die Ausbildung eines neuen Stils durch Assimilierung und Rehabilitierung vorangegangener Traditionen der deutschsprachigen Literatur, darunter die Frage nach der Einordnung und Einbindung von Exilliteratur und den Umgang mit Literatur, die unter dem Naziregime entstanden ist.
Williams diskutiert diesen schwierigen Punkt, in dem er neuere Forschungserkenntnisse über das Wirken Anderschs selbst in dieser Zeit in seine Überlegungen einbindet. Hans Werner Richters apodiktisches Nein zu allen Schreibern der Nazi-Zeit wird hier - durch die Wiedergabe eines späten Interviews - von ihm selbst revidiert bzw. zurechtgerückt. Williams führt im weiteren die Argumentationsstruktur des Essays aus: Er zeigt auf, wie Andersch zunächst die Generation um Grimm und Jünger als Opposition rehabilitiert, folglich eine Entlastung seiner Generation und mithin auch seiner selbst vornimmt. Andersch kategorisiert und gruppiert die wirkenden Literaten, er unterscheidet durchaus polemisch, wie Williams anführt, zwischen realistischer Tendenzkunst, die mit propagandistischer Didaktik gespickt sei, und solcher, die "die Zugehörigkeit Deutschlands zur atlantischen Kultur"(S.32) kennzeichne (dazu zählt er vor allem Thomas Manns Werke). Andersch kenne Satiriker, die zuwenig wahre Künstler sind, wie Kurt Tucholsky und wenig überzeugende Proletarier wie Seghers. Anderschs Essay endet mit einem Ausblick auf die literarische Zukunft Deutschlands.
Im folgenden Abschnitt skizziert Williams die negative wie positive Wirkungsgeschichte des Essays und ihre politischen Implikationen für die Zeit des Kalten Krieges. Die anfangs betonte Bindung an den Essay löst sich im weiteren immer mehr ab, Williams verfolgt Anderschs literarisch publizistisches Schaffen bis weit in die Zeit des Kalten Krieges. Williams folgt der anfangs postulierten These, dass es einen starken autobiographischen Zug in Anderschs Werken gäbe und führt dies anhand der Werkgeschichte und Herausgebertätigkeiten weiter aus. Williams betont durch diesen Argumentationszug noch einmal auf einer anderen Ebene die Außenseiter-Position von Andersch. Auch zeigt er seine Verbindung zu den ästhetischen Positionen der französischen Avantgarde / Moderne auf, d.h. internationale Einflüsse auf die westdeutsche Nachkriegsliteratur.
Eine Bezugnahme zu den Anfängen der Gruppe 47 wird von Williams nur ansatzweise geleistet und verschwimmt in dem Gesamtkontext, den er als ein Andersches Literaturpanorama in seinem Aufsatz eröffnet. Wenn er um eine streitbare Doppelinterpretation von Sansibar ringt, hat Williams den Kontext der von ihm aufgeworfenen Fragestellungen bei weitem überschritten, auch wenn er hier ein detailgenaues und kritisches Bild von Anderschs politischer Positionierung und dem Nachhallen dieser in der Debatte um Kunst und Opposition in seinen Werken präsentiert.